Menschlich

Er konnte es nicht verstehen, es machte alles keinen Sinn, ja die ganze Situation war geradezu absurd. Wie ein Horrorfilm in Kinderprogramm, wie ein schlechter Künstler grandios gefeiert, er wusste sowas durfte nicht passieren, auch wenn Dinge wie diese geschehen, aber bei ihm. Schrecklich. Müde rieb er sich den Schlaf aus den Augen, was für eine seltsame Realität sich nun hinter den befreiten Netzhäuten abbildete. Ein Hotelzimmer, nicht zu edel nicht zu schäbig gerade richtig für Branchenkongresse, dieser Anblick so bekannt er sonst war, war heute schlicht zu surreal. Schuldgefühle, oder auch nur die unzähligen Runden Tequila lagen ihm schwer im Magen und wollten hinaus. Ein Besuch auf der Toilette im gelb gefliesten Bad mit kleiner Dusche, begleitet von schrecklich quälenden Würgereizen, die sein Gesicht abzureißen schienen, löste das Problem mit dem Agaven Schnaps. Seine Sünde blieb. Er war nicht religiös, seine Eltern waren zwar bis heute Kirchengänger und hatten vergeblich versucht ihn zu einem solchen zu konvertieren, und dennoch fühlte er sich jetzt wie ein von der Gottesgemeinde Ausgestoßener. Gepeinigt, Vertrieben, mit Abfällen und Straßendreck beworfen, doch war es nicht der Pöbel auf den Straßen, der mit Hasserfüllten Augen auf die geschundene Seele seine Wut über den Frevel Platz verschaffte, sondern sein eigenes moralisches Verständnis.

Nach dem letzten Würgen spülte er sich den nach Kotzen schmeckenden Mund aus, mit eiskalten Wasser direkt aus dem Hahn. Dann verließ er wieder die Nasszelle und ließ sich im Hotelzimmer nicht wieder auf das Bett fallen, sondern auf einen der zwei orangen Stoffsessel, die neben dem kleinen Kaffeetisch standen. Auf dem Abstellmöbel befanden sich noch allerlei Relikter der Nacht, leere Bierflaschen, aufgeweichte Snacks in kleinen Portionen, ein Aschenbecher, der trotz dem geltenden Rauchverbot mit Zigarillos und einigen Zigaretten gehäuft überfüllt war und auch jene vermaledeiten zwei Flaschen der mittelamerikanischen Spirituose, in dem sich nur noch in einer, ein kleiner goldener Rest befand. Diese letzten paar Schlucke würden nun nicht in den Strahlen, die durch die kleinen ovalen Einlässe der grauen Plastik Jalousie in das Zimmer drangen, hell aufleuchten, wäre es ein gewöhnlicher Abend gewesen. Er schwenkte die Flasche leicht und betrachtete das Lichtspiel des Tequilas, bis er instinktiv die Flasche öffnete und an ihr roch. Sein Körper wehrte sich reflexhaft mit einem erneuten, dieses Mal aber stillen Würgen. Gott sei Dank war Nichts mehr in seinem Magen, er hätte geradewegs auf den Teppich gekotzt, dessen oranger Ton den der Sessel beinahe glich. Eilig schloss er die Schnapsflasche wieder und setzte sie auf den exakt gleichen Platz auf dem vollgestellten Tisch, von dem er sie auch aufgehoben hatte. Anders wäre es auch nicht möglich gewesen, ohne dabei etliche Dinge beiseiteschieben oder um platzieren zu müssen. Es wäre wirklich besser gewesen hätte er gestern diese letzten Schlucke auch noch hinuntergezwungen.

Sein Hirn begann sich immer mehr, durch die Dehydration und Vergiftung mit Alkohol angetrieben, zu rächen. Fast war er dankbar für die Kopfschmerzen, er wollte leiden, hoffte er doch die Schmerzen würde seine Schuld mindern. Ein Kampf gegen Windmühlen, körperlich und seelisch ging es ihm immer schlechter, das Eine minderte das Andere überhaupt nicht. Sein Schädel war auf seinen Händen gebettet, deren jeweiliger Ellenbogen sich auf ein Knie stütze, so starrte er scheinbar emotionslos auf den Boden. Was für eine gigantische Scheiße. Er erinnerte sich an einen ähnlichen Fall, betroffen gestanden aus dem Mund eines Freundes. Aufbauende Worte hatte er vordergründig geantwortet, versucht ihn zu beruhigen und doch Unterbewusst, mit Schadenfreude und etwas erhaben, die Verdorbenheit seines verzweifelten Gegenübers belächeln, denn ihm würde so etwas nicht passieren. Sein Leben war ja Alles was er wollte, er hatte nichts zu kompensieren, keinen Antrieb für eine solche Scheußlichkeit. Nun war es ihm doch passiert, nein der passiv war falsch, denn er hatte es aktiv sich selbst angetan. Kurz wollte er es dem Alkohol ankreiden, seine Erinnerungen an alle Momente, jede kleine Spannung, die zu diesem Gräuel geführt hatten, ließen ihn davon wieder abstand nehmen. Wie man es drehte, so sehr er es auch versuchte, die Situation in der er sich nun befand war seine Schuld. Der Alkohol hatte es wahrscheinlich beschleunigt, ohne ihn wäre es auch passiert, vielleicht nicht in dieser zurückliegenden Nacht, irgendwann bestimmt.

Schweiß Tröpfchen begannen sich auf der Stirn zu bilden, es musste schon fast Mittag sein und die wenigen Strahlen reichten schon aus das Zimmer ordentlich aufzuheizen. Perfekt mischte sich diese unangenehme Wärme zu der verbrauchten, verrauchten Luft im Zimmer und verwandelte dieses zu einer stickigen, nach Körperschweiß stinkende Hölle. Auch wenn ihm so sehr schlecht war und sein Hirn sich einen Weg durch die Stirn zu boxen schien musste er sich jetzt klar machen, wie er die nächste Zeit, ja vielleicht sein ganzen Leben vorgehen würde. Eigentlich gab es nur eine Option, Schweigen. Die Schuld in sich verpacken und sie jeden Tag und jede Stunde mit sich herumtragen. Die Last zu mindern würde bedeuten darüber reden zu müssen und dies war eine Sache, die wollte er bestimmt nicht, denn er war ja nicht so jemand der solche Dinge tut. Dieses Bild wollte er vor Allen die er kannte aufrechterhalten, musste es aufrechterhalten, sein Leben würde sonst in Asche liegen. Es gab ja auch keinen Grund für diese Situation und dies machte die Sachen noch schlimmer, ja keine Entschuldigung würde es erklären können. Schweigen alleine würde aber auch nicht dafür sorgen, dass das Pferdehaar seines Damoklesschwertes nicht über seinen Haupt reißt und mit einem tiefen Schnitt seine Leinwand, die er der Welt so gerne zeigte auf immer zerstören würde. Er musste auch auf ein ihm wohlgesinntes Schicksal hoffen, etwas was ihm, wie Glaube, eigentlich überhaupt nicht lag. Der Gedanke einer scharfe Klinge die aus heiterem Himmel ihm nun auf die Schädeldecke fiel, in diese glatt gleiten eindrang und ihn somit endlich von diesen Kopfschmerzen erlösen würde, erschien ihm erschreckend positiv.

Sein Kopf richtete sich endlich wieder auf. Ein raschelndes Geräusch brachte ihn dazu. Im Bett gegenüber regte sie sich endlich. „Na wie geht es dir? Hat Spaß gemacht, sollten wir wiederholen!“ Wie bei einem geilen Köter verschwand erneut das Bild seines reinen Lebens, seiner Schuld und seiner Frau aus der brummenden jetzt von Hormonen vollgepumpten Grauen Masse. Er setzte sich ein Schuljungen Grinsen auf und nickte begeistert. Er war doch so jemand.

Reden ist Silber, Betroffenheit ist Gold

Ich steige in die Tram wie so oft
Doch da wartet er traurig schon
Ein Mann der an Nichts mehr hofft
außer Einsamkeit als sein Lebenslohn

Die Mütze auf dem Haupt ziert
Das Symbol von billigen Fussel
Ich spüre einen leichten Grusel
Der Ironie die mich einfriert

Die Flasche immer in Sicht
Zeigt er auf Häuser und Spricht
von Vergangenen Zukunfts Licht
und fügt traurig an „Ich bin zu dicht“

Das Abteil riecht nach seinem Schweiß
Und ich frage mich ob er eigentlich weiß
Dass ihm hier keiner zuhören Will
Peinliche Betroffenheit macht Sie Still

Er steigt aus, redet weiter ohne Vernunft
hinaus mit ihm zum schwankenden Lebenslauf
Alle atmen schweigend vor sich auf
Getroffen im Blick auf Ihre Zukunft

Mädchen auf dem Königsplatz

Mädchen auf dem Königsplatz trinkt
Mit ihren Freunden sehr viel Bier
Sie weiß, dass sie immer tiefer versinkt
In den Problemen und der alkoholischen Gier

Mädchen mit der Jacke trotz Sonnenschein
Du flüchtest dich zu dieser einen Bank
Denn du weißt was auf dich warten Daheim
Die Vorstellung daran alleine macht krank

Mädchen mit dem gescheiterten sein
Wer bin ich denn dich zu richten
Bin nur froh das dies Leben ist nicht mein
Darum höre ich jetzt auf über dich zu dichten