Anzug

Mit zitterten Händen richtete er die Manschettenknöpfe ordentlich hin und strich noch einmal die Ärmel der blütenweißes Hemdes Glatt. Die grüne Fliege, deren Knoten er schon seit Wochen immer und immer wieder geübte hatte, war nach dem dritten Anlauf nun auch perfekt. Er hatte seine Freunde aus dem Raum geschickt, wollte diese letzten Schritte der Vorbereitung, der Schlusssprint einer langen Zeit der Planung und Organisation nun doch ganz für sich erleben können. Er zog die Anzugsjacke an, und wischte hier auch noch einmal über die Schultern um Staub und Schuppen zu entfernen, auch wenn diese nicht vorhanden waren. Der gesteifte Kragen rieb etwas an seinem glattrasierten Hals. Heute hat er selbst die Rasur nicht sich selbst überlassen und er war hierbei eigentlich immer geschickt gewesen, sondern begab sich in die Hände eines Barbiers. Perfektion war das Ziel, sah er schon nicht besonders gut aus, wollte er aber wenigstens alles so gut wie möglich herrichten lassen. Sie war wunderschön, vielleicht sogar etwas zu schön. Alle Männer waren hinter ihr her gewesen, ja sie hätte sich den Schönsten und Reichsten aussuchen können und er war keines von beiden, bei weitem nicht. Ein letztes Mal blickte er sich im Spiegel an. Der Anzug saß perfekt, das Hemd strahlte dank des durch das Fenster scheinenden Lichtes. Dann schaute er sein Gesicht an. Die Nase zu groß und aufgrund eines Unfalls etwas nach links verschoben, die Lippen zu schmal und setzten sich mit ihrer matten Farbe kaum vom Rest des Gesichtes ab, die Augen verschieden groß und das linke Ohr stand etwas vom Kopf ab. Eigentlich störten ihn sein Aussehen nicht, heute im Angesicht, besser noch im direkten Vergleich mit seiner Braut fühlte er sich aber sehr hässlich, ja geradewegs so unansehnlich, dass er am liebsten dieses Zimmer nicht verlassen würde. Es waren nicht die klassischen kalte Füße, nein er freute sich auf die Ehe auf seine Freunde auf das Fest, den ersten Tanz, für den er länger als für die Fliege geübt hatte. Er wollte nur nicht sein Gesicht präsentieren, bildete es doch das genaue Gegenteil von dem Konzept Perfekt. Im Spaß meinte er zu ihr oft er besorge sich einfach eine hübsche Maske, nun hoffte er, dass eine solche sich auf der Kommode neben der leeren Manschettenknopf Schachtel befinden würde. Wäre sie nur nicht so schön, der Kontrast wäre nicht allzu groß. Es war zu spät, noch einmal atmete er tief durch, kontrollierte ob die Schuhe noch vom Staub frei waren und glänzen, dann öffnete er die Tür. Er nickte seinen besten Freunden, die vor dieser still warteten, zu. Jeder klopfte ihm schweigen und mit einem glücklichen Grinsen auf den Wangen ermunternd auf die Schulter und schon ging es zu Auto.

Die Kirche war vollgestopft mit gespannte Gesichter die ihn erwarteten, doch er fühlte sich viel zu unwohl, viel zu hässlich um einer der vielen Gäste länger in die Augen zu sehen, ja ein paar Worte zu wechseln und damit sein Visage länger als nötig zu präsentieren. So eilte er an den Altar wo der Priester ihm noch kräftig die Hand schüttelte. Ganz gegen der Tradition wollte sie nicht mit ihm zusammen in die Kirche einlaufen, sondern später durch die Reihen schreiten während er vorne warten sollte. Ganz wie es in den Filmen die sie so liebte auch immer passierte. Keinen Wunsch konnte er ihr verweigern und so wurde dies nach einiger Diskussion mit dem Pfaffen, so auch geplant. Unruhig belastete er erst das eine Bein, dann das andere. Er wurde von Sekunde zu Sekunde nervöser.  Ist ihr nun doch aufgefallen, wie unwürdig er ihr war? Die Angst vor lauter Furcht zu schwitzen befeuerte seine Nervosität weiter. Endlich nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete sich die Tür wieder, wie abgesprochen begann die Orgel an zu spielen und eine in Weiß gekleidete Person schritt hinter zwei kleinen Mädchen die Blumenblüten streuten in das Gotteshaus.

Der junge Friedhofsgärtner, der gerade die Utensilien in dem kleinen Schrank in der Kirche verstauen will, blickt verwirrt in dem Kirchenraum. Ein alter Mann im ordentlich gerichteten Anzug, der aber wie auch die geübt gebundene grüne Fliege schon deutlich abgenutzt ist, steht vorne am Altar in dem sonst ganz leeren großen Raum. Er wirkt abwesend und seine Unterlippe zittert etwas als würde er gleich anfangen zu weinen. Der Gärtner möchte ihn gerade ansprechen da klopft sein ältere Kollege, der schon seit Jahren für die Pflanzen zuständig ist, ihm auf die Schulter und flüstert ihm ins Ohr: „Lass ihn! Das macht er jedes Jahr an seinem Hochzeitstag. Traurige Geschichte, das Paar kam nach der Messe nie bei der Feier an.“

Reden ist Silber, Betroffenheit ist Gold

Ich steige in die Tram wie so oft
Doch da wartet er traurig schon
Ein Mann der an Nichts mehr hofft
außer Einsamkeit als sein Lebenslohn

Die Mütze auf dem Haupt ziert
Das Symbol von billigen Fussel
Ich spüre einen leichten Grusel
Der Ironie die mich einfriert

Die Flasche immer in Sicht
Zeigt er auf Häuser und Spricht
von Vergangenen Zukunfts Licht
und fügt traurig an „Ich bin zu dicht“

Das Abteil riecht nach seinem Schweiß
Und ich frage mich ob er eigentlich weiß
Dass ihm hier keiner zuhören Will
Peinliche Betroffenheit macht Sie Still

Er steigt aus, redet weiter ohne Vernunft
hinaus mit ihm zum schwankenden Lebenslauf
Alle atmen schweigend vor sich auf
Getroffen im Blick auf Ihre Zukunft

Logischer Witz

Der Spiegel ist schon wieder so von Staub bedeckt und hüllt die Illusion einer anderen Welt, die sich scheinbar durch eine von goldenen Rahmen umgrenzende silbrig glasige Tür betreten lässt in einen schummrigen Nebel. Durch die kaputte Jalousie strahlen gnadenlos die Strahlen der Sonne. In einer unnatürlichen gradlinigen Lichtpegel werden so die Partikel, die die Scheinwelt des Spiegels verfinstern, bestrahlt und tanzen in einem Chaos, das auf seine Weise ein System zu haben scheint durch die Luft. Es ist stickig. Die im dunklen Holztönen gehaltenen an die Größe des Wohnwagens angepassten Möbelstücken und der alte Teppich im orientalischen Muster (natürlich ist er nicht echt ein billiges Imitat aus einem Discounter), wird auch durch die kleinen Stücke Schmutzes, Hautpartikel und sonstiger Substanzen durchtränkt und das in einem Maße, dass es nicht mehr klar ist ob der Teppich den Staub in sich hält oder der Teppich vom Staub vor dem Zerfall als stützender Bestandteil bewahrt, sodass das Bodentextil zu selbigen zerfallen würde, wenn man ihn einmal ordentlich ausklopfen würde. Nun es wäre falsch zu behaupten das es unordentlich wäre, doch ist die Perücke die Sorgfältig auf einem vergilbten Styroporkopf Platz nimmt sicherlich das einzige was hier regelmäßig gereinigt und gut behandelt wird. Auf dem Bett, das auch eine Nutzung als Sofa zu anbieten verspricht, wenn es geschickt umgeklappt werden würde, was aber noch nie vorgekommen ist liegt Bobo. Der bürgerlich unter dem Namen Thorsten Uwe Böhm gelistete, professioneller Belustigter von Besuchern des billigen und in seiner Art tragisch einen Glanz der großen Bühne nachahmend, hierbei aber schrecklich scheitenden Zirkus, döst vor sich hin. Auf seiner Stirn steht der Schweiß und auch unter seinen Achseln ist das unschöne Gefühl der nässe eingetreten. Auch wenn anzunehmen ist, das durch die hier vorliegende unfassbare Menge Staub, jeder Atemzug die Lungen an den Rand des Kollaps bringen müsste und sie die Farbe Kettenrauchender Kohleflöz Arbeiter annehmen sollte atmet er ruhig und tief. Ein Tropfen löst sich von seiner Stirn. Er macht sich auf dem Weg zur Nase des 55 Jährigen, die natürlich nicht mir einer roten Schaumstoff Nase geschmückt ist, sondern eher durch Alkoholkonsum und generell ungesunden Lebensführung eine ähnliche Farbe wie das klischeehafte Utensil besitzt, jedoch wesentlich unförmiger. Der Tropfen kitzelt Bobo, Verzeihung, Thorsten Uwe Böhm aus dem komatösen Zustand des schlafenden Wachens. Noch tiefer nun jedoch unregelmäßig schnaufend erhebt er den massigen Körper und starrt designiert auf die billige Uhr an seinem wulstigen Gelenk auch nur um festzustellen, wie spät es schon ist. Die nächsten Schritte laufen durch die Jahrzehnte lange Routine in einem selbstverständlichen unterbewussten Ablauf stattfindet. Schminken, die traurig bunten Kleidungsstücke anziehen, rote Nase aufsetzen, Utensilien des langweilig einfachen und tausenden Mal gesehenen Zaubertricks in die Tasche stecken. Besagte gut gepflegte Perücke noch einmal ausklopfen und auf die Halbglatze setzten. Nach der Jahrelangen Routine hilft auch dieses Ritual nicht um in den Charakter überzugehen. Wie dauerhafte alternativlose Missionar Stellung zur einfach fleischlich abgespeicherten fast Lustlosen Bewegungen werden, wurde auch Bobo, Verzeihung, Thorsten Uwe Böhm zu einem lustlosen unförmigen Klotz menschlichen Gewebes. Die einstige Aufregung ja Begeisterung die menschlichen Wesen, ja damals sah er sie als seine Besucher, gut zu unterhalten und Lachen aus den Kehlen zu zaubern, wird zu einer standardisierten Missionar Stellung nach gefühlten 120 Ehejahren. Nichts aufregendes, nichts Spannendes keine Veränderung und erst recht nichts Befriedigendes. Auf den Spiegel starrend, kommen solche Gedanken auch in den ekelhaft klischeehaften Protagonisten des klassisch oft dargestellten traurigen Clowns auf. Sich diesem Lebenswandel bewusst öffnet er die Schublade und holt noch ein Utensil, dass er für eine spontane Schlussnummer braucht, die er rein um die Routine zu brechen vollführen möchte. Er tritt aus seinem kleinen Wagen, begleitet von dem Geruch nach Dung, Schweiß, Stroh und der süßen Ahnung einer olfaktorischen Eindrucks, was das Popcorn sein muss, schreitet er in Richtung Zelt. Betreten, schweigsames Nicken zu seinen Kollegen, Auftritt. Die gleichen Gags, die gleichen Zauberstücke, die gleichen Verhaltenen Lachen auf den Tribünen, die eher aus Mitleid als aus tatsächlich humorösen Gefühle heraus entstehen. Dann Schlussnummer. Er wählt sich eine schöne junge Frau aus dem Publikum, die leicht verängstigt von der Seite ihrer beiden Kinder weicht. Lässt sie die Bühne betreten und zaubert das finale Utensil aus seiner Tasche. Die Pistole an die Schläfe der jungen Mutter gedrückt grinst er breit in das Publikum, welches zum ersten Mal an diesem Abend gespannt auf seine Darbietung blickt. Ein Knall, die Hirnmasse der jungen Mutter fliegt durch die Manege wie rosa rotes Konfetti, ein zweiter Knall und es kommt noch etwas Clownhirn Konfetti hinzu. Die Menge lacht und klatscht begeistert.

Ein letzter Abend in einer Bar

Das Bier in den Flaschen Kühl
und billig genug um reichlich zu zahlen
Einer versucht in der Ecke zu malen
und die Musiker spielen mit Gefühl

Ich sitze da und vokalisiere
so manche lustige Geschichte
und hoffe das ich so vernichte
Die Furcht, dass ich meine Jugend verliere

Das Leben wird langsam ernster
und so halte ich mit aller Kraft
an das was meine Jugend hat geschafft
Doch es schließt sich weiter das Fenster

Draußen frierend zwischen blauem Rauch
wird mir wieder die Zeit klar
so trete ich wieder ein und an die Bar
und fülle lieber das nächste Bier in den Bauch

Der Staub auf dem Umschlag

Als ich noch ein kleiner Junge war bekam ich ein Buch geschenkt. Es ist etwas dicker als die die meisten Bücher und war umschlagen mit einem roten mit einem orientalischen Elefanten verzierten Ledereinband. Die Seiten waren leer. Das Wissen, welche Person mir dieses vermachte muss über die Jahre in einer durchzechten Nacht auf seltsame Weise verschwunden sein. Ich begann also die nackten Seiten zunächst mit sehr krakliger Schrift und schlecht gezeichnet Bildern zu füllen. Die Zeichnungen wurden über die Jahre aufgrund keinerlei Verbesserungen, mehr in den Hintergrund getrennt. Ich schrieb alles auf was ich wollte, sei es reale Ereignisse, erfundene Geschichten, später als die Pickel die klare Überhand an der Gesichtsfront errungen haben, auch pseudo emotionale selbstreflexives Gefühlskotze. Als ich durch das gröbste heraus kam, begannen wir uns auseinander zu leben. Ich hatte zu viel zu tun, Studium eigener Haushalt große Liebe, Job Angst, Hausbau, Kampf um das Glück. Ich vergaß zur Gänze, dass ich es besaß. Bis an einem schrecklichen Sonntag im letzten Jahr. Der Regen trommelt mit seiner kalten und an diesem Tag erschreckenden starker Faust an mein Fenster. Mein Ohrensessel schmiegte sich sanft an die Rückseite meines greis gewordenen Körpers. Eigentlich ein normaler Novembertag. Doch war sie erfüllt voll Schmerz, der sich wie ein finsteres Thema durch die Oper meines Lebens zog. Freunde starben, meine Liebsten Starben, und mit ihnen trug ich immer mehr Lebensfreude in die schmutzige Ebene unter unseren Füßen. Und so kam es, dass ich an jenem November Tag nichts zu tun hatte. Ich durfte mich mit keinen Anruf mit keinen Brief, mit keinen Gespräch, mit keiner Besorgung, mit einfach Nichts, ablenken. Einsam war ich, einsam mit den traurigen Erfahrungen der letzten Monate. Ich weiß nicht warum doch ich leckte eine Platte mit einem alten Klavierstück auf. Die Töne zogen vereinzelt, klar voneinander abgetrennt durch den Raum und untermalten meine finsteren Gedanken. Doch wie das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels, fiel mir durch einen Wink des Schicksals ein etwas verstaubter und abgewetzter Ledereinband, zwischen den anderen Büchern in dem massiven schwarz geölten Eichenholzregal. Ich nahm es heraus, wischten den Staub ab und schlug es auf. Beim Anblick der unbeholfenen Schrift, dem Simplen Satzbau, den schrecklichen Zeichnungen musste ich schlucken und auf einmal war mir so das eine kleine und längst vergangene Version von mir, neben mir steht meine Schulter streichelte und mich mit seinen klaren Kinderaugen anlächelnd. Ich war nicht alleine ich erinnerte mich an die vielen Ereignissen und zum ersten Mal wurde mir wirklich klar, wie viel Glück ich im Leben hatte. Lachend las ich meine alte Gefühlsduselei, welche Probleme mich damals aus der Bahn werfen konnten. Ich war nicht mehr alleine.

Jetzt unternehme ich jeden Tag etwas neues, damit ich es Abends in mein rotes Buch schreiben kann, sodass ich in schlechten Momenten davon zehren kann. Mit einer Sache bin ich mir sicher auf dem letzten Weg werde ich nicht alleine sein, denn ich bin bei mir.